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Instanzen der Ohnmacht.

Günther Fischer, Der Standard

Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat; Jüdischer Verlag in Suhrkamp; 2000

Eine beeindruckende historische Studie zur erzwungenen Kooperation von Juden mit dem NS-Regime - am Beispiel Wien.

Spätestens seit Hannah Arendts Eichmann-Buch und ihrer Kritik an der Rolle der Judenräte in der Zeit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden wird die Frage der Zusammenarbeit von jüdischen Repräsentanten mit dem NS-Regime äußerst kontrovers diskutiert. Wie konnten Menschen gezwungen werden, an ihrer eigenen Vernichtung mitzuwirken?

Wer verstehen will, wie die Judenräte entstanden, muß sich mit den Wiener Verhältnissen auseinandersetzen. In Wien entwickelte und erprobte Eichmann ab 1938 sein »Modell« nationalsozialistischer Judenpolitik. Hier wurde die »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« - wie sie euphemistisch genannt wurde - installiert, mit der die Nazis erst die Massenvertreibung, dann die Deportation in die Vernichtungslager organisierten. Zugleich wurde ab 1938 die jüdische Administration in Wien systematisch umstrukturiert und in einer vom NS-Regime erzwungenen Kooperation schrittweise in die Vertreibung und schließlich Verschleppung der österreichischen Juden in die Vernichtungslager hineingezogen. Die Wiener jüdische Gemeindeleitung wurde zum Prototyp aller späteren Judenräte.

Die Studie versucht der Situation der Verfolgten gerecht zu werden. Gezeigt wird, wie das verzweifelte Bemühen, wenigstens so viele Menschen wie möglich zu schützen und zu retten, die Verfolgten zugleich ihren Verfolgern zuarbeiten ließ. Die jüdischen Verwaltungsorgane waren unter den vorgegebenen Bedingungen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems nichts als Instanzen der Ohnmacht.

»Die Perspektive der Verfolgten offenbart, wie unfaßbar und wie widersinnig all das erscheinen mußte, was ihnen angetan wurde. Ihre verzweifelten Hoffnungen und ihre Ohnmacht spiegeln das Ausmaß und den Charakter des Verbrechens wider.«

»Mit den Instanzen der Ohnmacht liegt eine Studie vor, die gemeinsam mit Arendts Eichmann-Buch zu den Grundlagentexten einer politischen Philosophie des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts gehört.«

Micha Brumlik, taz

»Rabinovici ist nicht nur Historiker, sondern auch Schriftsteller und Essayist. [...] Der Phantastik seiner Prosa steht hier die Akribie des Quellenforschers gegenüber. Für den Leser ist es ein Glücksfall, daß er nicht nur die Fakten zu berichten weiß, sondern auch ihrer psychologischen Zwiespältigkeit einen literarischen Ausdruck gibt.«

Jakob Hessing, Frankfurter, Allgemeine Zeitung

»Eines macht Rabinovici in seiner historischen und brillant geschriebenen Studie eindrücklich klar: Die Judenräte hatten keine Wahl. Sie waren verzweifelt bemüht zu helfen und bekamen dennoch täglich und demütigend die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit zu spüren. Sie waren ohnmächtig gegenüber einem zu allem entschlossenen Feind. Quälend genau schildert Rabinovici auch das existentielle Dilemma, in dem sich jeder einzelne jüdische Funktionär befand: Sein Buch ist gerade deswegen die längst überfällige Verteidigungs- und Rehabilitationsschrift.«

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